Angst und ihre Bewältigung aus spiritueller Sicht


Am Anfang war diese Welt nur das Selbst in menschlicher Gestalt. Es blickte um sich und sah nur sich selbst. Als erstes sprach es: „Das bin ich.“ Daraus entstand die Bezeichnung „ich“. Deshalb sagt jemand auch heute noch, wenn er angesprochen wird: „Ich bin es“ und nennt dann seinen Namen.
Es hatte Angst. Deshalb hat man Angst, wenn man allein ist. Da dachte es bei sich: „Da es außer mir nichts anderes gibt, wovor fürchte ich mich dann?“ Daraufhin legte sich seine Angst, denn es gab ja keinerlei Grund dafür. Nur ein Zweites kann Anlass zur Furcht sein.IV, 1-2

Brihadaranyaka-Upanischade

Unterschiedlichkeit als Grundlage der Angst


Schau, der Grund für ihr Aufkommen ist, dass die Menschen einen selektiven Sinn für Einbeziehung haben. Das ist, was ich gemeint habe, als ich sagte: „Schau nicht zu etwas auf, schau nicht auf etwas herab.” Denn wenn du zu etwas aufschaust, übertreibst du. Wenn du auf etwas herabschaust, übertreibst du das Negative. In dem Moment, in dem du zu etwas aufschaust, wirst du dich daran hängen. In dem Moment, in dem du auf etwas herabschaust, wirst du davon niedergeschlagen; in gewisser Weise wird Abscheu aufkommen. Diese Emotionen der Angst, der Unsicherheit, des Anhaftens, der Distanzierung, sind also alle eine Folge davon. Sollen wir uns um die Ursache kümmern oder um die Folgen?
Die Menschen sind immer damit beschäftigt, die Folgen zu behandeln. Sie sagen dir: „Beschneide deine Angst.” Kannst du deine Angst beschneiden? Das wird in keinem Fall funktionieren. Jetzt drehst du dich auf die andere Seite und sagst: „Wir brauchen uns nicht dafür zu schämen, lass sie uns haben.” Ist das eine angenehme Erfahrung, frage ich? Ist Angst, Unsicherheit, Schuld, was auch immer, eine angenehme Erfahrung? Wenn es eine angenehme Erfahrung ist, behalte sie, es liegt an dir.Does Sadhguru Have Fears and Insecurities?
Sadhguru

Zwischen einer etwas eng aufgefassten humanistischen Psychologie, die nur an den äußeren Symptomen herumdoktert, und einem spirituellen Elite-Denken, das nur noch auf die Erleuchtung fixiert ist, gibt es ein weites Mittelfeld der Angst-Bewältigung – wobei viele Übungen bereits auf die „Erfüllung“, die am Ende winkt, hinweisen. Denn auch alle „kleinen Schritte“ sollten das große Ziel des spirituellen Durchbruchs zum transzendenten Grund nicht aus dem Auge verlieren, denn sonst hängen wir wieder für ewig im „Flachland“ fest, mit unseren kleinen Ängsten und kleinen Bewältigungen. Die normale Politik und die normale Psychotherapie mag damit zufrieden sein, und es klingt ja auch alles so ungeheuer menschlich und praxisbezogen. Aber Hand aufs Herz – ist da nicht eine innere Stimme in uns, die irgendwann einmal genug hat von all den kleinen Schritten und es endlich „wissen“ will – so wie sich Gautama unter den Feigenbaum setzte und sich schwor, nicht eher wieder aufzustehen, als bis er völlig „erwacht“ sein würde?X, Der Mut auf den Grund zu gehen, Via Nova Verlag, Petersberg

Hans Torwesten

Furcht ist der größte Aberglaube. Wenn es ein Wort gibt, das wie ein Geschoss aus den Upanischaden schießt und die Masse an Nichtwissen zerschmettert, so ist es das Wort „Furchtlosigkeit“. Und die einzige Religion, die gelehrt werden sollte, ist die Religion der Furchtlosigkeit. Ob in dieser Welt oder in der Welt der Religion, die Angst ist die wahre Ursache von Erniedrigung und Sünde. Die Angst ist es, die Not, Tod und das Böse mit sich bringt. Und wodurch wird sie verursacht? Durch die Unkenntnis deiner Wahren Natur. Eine Biographie, Heinrich Schwab Verlag, Argenbühl-Eglofstal
Vivekananda




Euch aber, meinen Freunden, sage ich: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, danach aber nichts weiter tun können! 12,4
Lukas-Evangelium

Die Affen von Varanasi


Wir sehen, wie die ganze Welt allem Schrecklichen zu entkommen sucht. Ich war einmal in Varanasi… Die Affen von Varanasi sind richtige Bestien und manchmal sehr mürrisch. Sie hatten es sich in den Kopf gesetzt, mich auf ihrer Straße nicht passieren zu lassen, und sie brüllten, kreischten und umklammerten meine Beine als ich weiterging. Als sie mich stärker bedrängten, fing ich an zu laufen, doch je schneller ich lief, desto schneller kamen sie heran, und sie fingen an mich zu beißen. Es schien unmöglich zu entkommen, aber genau in dem Moment war da ein Fremder, der nach mir rief: „Stell dich den Mistkerlen!“ Ich drehte mich um und trat den Affen gegenüber. Sie wichen zurück und flohen schließlich. Das war eine Lektion für das ganze Leben – stell dich dem Schrecklichen, stell dich ihm unerschrocken! CW I What is Religion?

Vivekananda

Mut oder das Begegnen der Angst


Die Haltung, die in der Erzählung der 'Affen von Varanasi' beschrieben wird, ist geprägt von körperlicher Ruhe und geistiger Wachsamkeit. Wir sollten stehen bleiben und uns umdrehen...

Jeder von uns sieht sich von Zeit zu Zeit von seinen persönlichen 'Affen' verfolgt. Wie sollen wir also reagieren in Leid und Bedrängnis? Die Antwort lautet in gewisser Weise: gar nicht. Lassen wir uns weiterhin von ihnen treiben, so erfolgt keine Veränderung unserer Situation. Ein Entkommen gibt es nicht, denn sie sind das Produkt unserer eigenen Sicht, die sich durch die Erfahrungen aus unserer Vergangenheit geformt hat. Das andere Extrem wäre, selber den 'Affen' nachzujagen, sie zu analysieren, sich also mit seinen Problemen verrückt zu machen und daran zu verzweifeln. Doch spätestens nach einem körperlichen Zusammenbruch wird klar, dass sich die Problemsubstanz auch auf diese Weise nicht verändern lässt. Es ist daher von äußerster Wichtigkeit uns klarzumachen, dass keine Notwendigkeit besteht, irgendeinen Schritt zu tun – weder zurück noch nach vorne.

Das ist Ertragen im positiven Sinn, ohne Verbissenheit oder Verdrängung.

Und obwohl dieses beständige, ruhige Ausharren im Angesicht des 'Schrecklichen' einem Menschen vieles abverlangen kann, ist es wahrhaft und natürlich. Es ist die Art, wie wir uns selbst ernst nehmen ohne zu problematisieren.

Wenn wir standhaft bleiben und nicht in bequemere Lagen ausweichen, erschöpfen sich unsere Schwierigkeiten allmählich (s.u. Psychologische Grundlagen), und werden zuletzt vollständig verschwunden sein.

Die Übungsform, die dieser inneren Haltung am unmittelbarsten entspricht, ist das stete Gewahrsein des Atems. Die beiden zur dauerhaften Einnahme der Haltung notwendigen Tugenden sind Demut und Entschlossenheit.

Am einfachsten ist es, in einer Gruppe zu üben. Bei scheinbar übergroßen Schwierigkeiten kann es ratsam sein, einen sicheren Ort aufzusuchen, wo man zumindest äußerlich von Konfrontationen und Druck entbunden ist. Ein solches 'Fliehen und Schweigen' ermöglicht eine intensive Auseinandersetzung mit sich selbst, in der das Gröbste durchstanden wird. Das schafft Raum und eine grundlegende Stabilität, die man später auch im Alltag aufrechterhalten kann.

Gedanken über Verpflichtungen durch laufende Kosten und das leere Bankkonto führten zu einer aufsteigenden Woge von Angst. Seit dem Unfall hatte ich keine Gefühle mehr gehabt. Nun kam die Angst überraschend und – anders als jemals zuvor. Sie war rein und ohne begleitende Gedanken. Die Intensität dieses Gefühls wurde immer stärker und erreichte ein nie gekanntes Ausmaß. Irgendwann kam der Impuls, „auszurasten“ und auf die Straße zu laufen. Der Gedanke „Das muss es sein, was ‚Paranoia‘ genannt wird“ tauchte auf. Gleichzeitig saß ich in vollkommener Ruhe und war stiller Zeuge des Geschehens. Ich bezeugte die Welle und griff zum ersten Mal nicht ein. Niemand tat etwas. So konnte ich das erstaunliche Schauspiel beobachten, dass die Angst zu einer gigantischen, bedrohlichen Welle anschwoll, nur um dann wieder im Nichts zu versinken. Minuten später war alles vorbei. Ich war tief beeindruckt von der Erfahrung, dass die Macht und Intensität dieses negativen Gefühls mich, das Selbst, nicht berührte. Von diesem Zeitpunkt an tauchten täglich Angstzustände auf, die ohne Vorwarnung und meistens ohne Bezug zu Gedanken oder Geschehnissen über mich hereinbrachen. Später verstand ich […], dass das gesamte unterdrückte Material der Vergangenheit aus dem Unterbewusstsein in das Bewusstsein gespült wird, um dort zu „verbrennen“, sobald das ständige „Damit Umgehen“ in Gedanken zur Ruhe kommt und der Geist sich der Meditation hingibt. Die Geburt des Löwen (I), Lüchow, FreiburgCedric Parkin